Vom Recycling zum Wiederverwenden
Circular economy. Nachhaltiges Bauen der Zukunft?
Die Circular Economy ist als Teil der EU-Taxonomieverordnung und der neuen Energy Performance of Buildings Directive (EPBD) ein wesentlicher Faktor des nachhaltigen Bauens. Sie besagt, dass ab 2030 Gebäude nur dann als „Green Building“ gelten, wenn 70 % ihres Gewichts wiederverwertbar oder recycelbar sind. „Wenn ich mit der Masse rechne, bleiben de facto nur die Malerfarbe und der Teppich übrig, die ich nicht nachweisen muss“, sagt Michael Haugeneder, Geschäftsleiter von ATP sustain in Wien mit einem Schmunzeln. „Was mir am Konzept gefällt, ist, dass es uns das erste Mal bewusst macht, dass wir in Europa eigentlich gar keine Ressourcen haben. Alles, was wir hier verbauen, beziehen wir durch Zulieferungen anderer Länder.“ Die Kreislaufwirtschaft schafft hier einen Paradigmenwechsel: Ressourcen sollen nicht mehr verbraucht, sondern kontinuierlich im Kreislauf gehalten werden. Damit wird gleichzeitig auch die europäische Wirtschaft stabilisiert.
Wie lässt sich dieses Prinzip konkret umsetzen?
Eine Möglichkeit ist, Baustoffe so zu gestalten, dass sie möglichst lange genutzt und später erneut verwendet werden können. Ressourcen können dabei auf unterschiedliche Weise im Kreislauf gehalten werden: entweder als Rohmaterial (z. B. ein Stahlträger) oder als Bauteil, das bei einem Gebäude aus- und beim nächsten wieder eingebaut wird. Wir bei ATP architekten ingenieure haben diesen Ansatz bereits vor einigen Jahren in der Praxis erprobt: Bei der Großküche magdas in Wien wurden Türen aus einem alten Gebäude für eine Zwischenwand verwendet, eine alte Zwischendecke als Schallabsorber genutzt und eine Stahltreppe aus einem Abbruchgebäude erneut verbaut. Solche Maßnahmen zeigen, dass eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie bereits erfolgreich umgesetzt werden kann. Was uns noch fehlt ist die Digitalisierung in vielen dieser Bereiche. Mittels der EU-Verordnung wird jedoch bald der digitale Ressourcenpass zum Standard bei jedem Gebäude.
Re-Use statt recycle?
Die Wiederverwendung bietet hierbei entscheidende Vorteile gegenüber dem Recycling, bei dem Materialien abgebaut, zerkleinert und neu verarbeitet werden müssen. Dieser Prozess ist zudem oft mit hohem Energie-, Transport- und Arbeitsaufwand verbunden. Modulare Bauweisen mit Steck- und Schraubverbindungen ermöglichen hingegen eine flexible Demontage und Wiederverwendung. Viele Baustoffe sind deutlich langlebiger als die übliche Nutzungsdauer von Gebäuden – wenn sie konsequent wiederverwendet werden, kann ihr Lebenszyklus erheblich verlängert werden und somit auch einen maßgeblichen Beitrag im Klimaschutz leisten.
Ein Second-Hand-Markt für Bauteile
Damit Wiederverwendung im Bauwesen breitere Anwendung findet, braucht es mehr als nur technische Lösungen – es braucht eine durchgängige transparente Digitalisierung, um alle Aspekte in der Planung zu berücksichtigen und am Ende eine Materialdatenbank zu haben, die man später bewirtschaften kann. Digitale Plattformen könnten hier als Vermittlungsstelle dienen, um Angebot und Nachfrage effizient zu verknüpfen. Gleichzeitig sind regulatorische Hürden zu überwinden, etwa die fehlenden Prüfzertifikate für wiederverwendete Materialien. Ein standardisiertes Verfahren – vergleichbar mit einer TÜV-Zertifizierung – könnte hier Abhilfe schaffen. Auch brauchen wir Demotage-Richtlinien und Informationssysteme zum Zustand der Materialien.
Hier liegt ein großes Potenzial! Wenn wir es schaffen, einen eigenen Markt zu etablieren, ist ein wesentlicher Schritt in Richtung Circular Economy geschafft.
Michael Haugeneder
Geschäftsleiter ATP sustain
Modulares Bauen als Schlüssel
Auch die Bauweise selbst ist entscheidend: Zerlegbare Bauweisen mit modularen Systemen, insbesondere im Holzbau, bieten vielversprechende Lösungsansätze. Bei Holz- und Hybridbau sind nicht nur die grauen Emissionen gering, diese Bauten sind auch meistens gut zerlegbar. Der Hybridbau aus Holz und Beton bleibt aufgrund bauphysikalischer Vorteile jedoch – zumindest für eine Weile – weiterhin relevant. Eine Verlängerung der Nutzungsdauer von Bauteilen auf 100 Jahre anstelle der üblichen 50 Jahre trägt zusätzlich zur CO2-Reduktion bei und relativiert die graue Emission.
Gesunde Gebäude
Ein weiterer wichtiger Vorteil der Zerlegbarkeit von Gebäuden ist, dass alle Materialien, die in einem Reuse- oder Recycling-Prozess eingesetzt werden, schadstoffarm oder -frei sind. Es gibt keine giftigen Schäume, keine Schwermetalle, keine SVHCs, keine VOCs, kein Formaldehyd. Gänzlich schadstofffreie Gebäude wird es allerdings nicht geben, denn bestimmte Stoffe sind notwendig – jedoch in Dosen, die für den Menschen unbedenklich sind. Auch Holz enthält natürliche Schadstoffe, die jedoch in der richtigen Verarbeitung ungefährlich sind.
Blick in die Zukunft
Die kommenden Jahre werden die Bauwirtschaft nachhaltig verändern. Ein zunehmender Fokus auf Bestandsbauten wird Neubauten in den Hintergrund rücken lassen. CO2-Steuern und neue regulatorische Vorgaben machen die Revitalisierung bestehender Gebäude wirtschaftlich attraktiver. Damit gewinnen Bestandserfassung, Dokumentation und digitale Planungsmethoden wie BIM weiter an Bedeutung. Derzeit besteht aber noch die Problematik, dass wir das baurechtlich noch unberücksichtigt lassen und daher eine Schlechterstellung des Bestandes künstlich durch das Baurecht erzeugt wird – eine Diskriminierung des Bestands.
Der Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft fordert die Bauindustrie heraus, eröffnet jedoch auch große Chancen. Eine nachhaltige, ressourcenschonende Bauweise erfordert neue Prozesse und innovative Lösungen – die Basis für eine zukunftsfähige Architektur. Grundvoraussetzung ist hier, dass auch baurechtlich die richtigen Impulse gesetzt werden, um hier Bestand und Neubau fair zu beurteilen und die Qualität zu sichern.