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Vergangenes zukunftsfit gemacht

Seismische Nachrüstung eines historischen Lagerhauses in Rijeka

16.03.2025, Lesezeit: 4 Minuten
Bauen im Bestand BIM Revitalisierung  
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Berislav Bošnjak

Assoziierter Partner, Gruppenleiter Tragwerksplanung

ATP Zagreb

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Nikola Pekas

Team Engineer Tragwerksplanung

ATP Zagreb

Erdbebensicherheit und Denkmalschutz? Kein Widerspruch! Im Zuge der integral geplanten Sanierung eines hundertjährigen Lagerhauses in Hafennähe konnten wir zeigen, wie ein Altbestand mit modernen Verstärkungsmethoden gesichert wird. Unsere innovative Lösung wurde in der Fachzeitschrift „Buildings” veröffentlicht.

Wie lassen sich historische Bauwerke schützen, ohne ihre architektonische Identität zu gefährden? Als das Lagerhaus XXII errichtet wurde, spielte Erdbebensicherheit im Vergleich zu heute, in Zeiten zunehmender seismischer Aktivität, kaum eine Rolle. In unserer Fallstudie „Seismic Upgrading of the Heritage-Protected Reinforced Concrete Warehouse in Rijeka, Croatia“ beschäftigten wir uns anhand dieser Sanierungsaufgabe – gemeinsam mit Mislav Stepinac von der Universität Zagreb – intensiv mit dem Thema.

Die Herausforderung: flächendeckend anwendbarer Normen fehlen
Zahlreiche Erdbeben haben in den vergangenen Jahren in der Mittelmeerregion schwere Schäden verursacht. Besonders verheerend war das Jahr 2020 für Kroatien mit zwei mittelschweren Erdbeben in der Hauptstadt Zagreb und den umliegenden Gebieten. Obwohl Rijeka nicht betroffen war, müssen auch dort die Vorschriften für seismische Verstärkungen konsequent angewendet werden. Für historische Gebäude bedeutet das eine besondere Herausforderung, da oft keine allgemein gültigen Normen existieren. Unsere Fallstudie hebt diese Problematik hervor und zeigt Lösungswege auf.

Beispielgebäude: Stahlbeton-Lagerhaus in Rijeka
Das Lagerhaus XXII ist ein Stahlbeton-Industriebau aus dem frühen 20. Jahrhundert. Es wurde nach österreichisch-ungarischen Konstruktionsnormen errichtet – lange bevor es verbindliche Standards für erdbebensicheres Bauen gab. Dabei zählt es zu den ersten Gebäuden in Kroatien, bei dem man Stahlbeton mit Ziegelmauerwerk als Tragwerkssystem kombinierte. Unsere Aufgabe war, dieses historische Lagerhaus an heutige Sicherheitsanforderungen anzupassen, ohne seine charakteristische Bauweise zu verändern.

Lagerhaus XXII in Rijeka mit Gerüst, saniert von ATP architekten ingenieure

Tragwerk Bestand
Lagerhaus XXII ist eine dreischiffige Halle mit längsseitigen Hauptträgern im Abstand von 6 m und querseitigen Sekundärträgern im Abstand von 2 m. Die vertikalen Lasten werden über eine dünne, durchgehende Geschossdecke mit einer Spannweite von 2 m auf die Träger übertragen. Die horizontalen Lasten werden über die Stützen mit variablem Querschnitt – dieser verringert sich mit zunehmender Höhe der Halle – abgetragen. Sowohl die Sekundärträger als auch die Hauptträger sind an ihren Enden verstärkt, um ihre Tragfähigkeit gegenüber Querkraftbelastungen an den Auflagerpunkten zu gewährleisten. Entlang des gesamten Gebäudeumfangs befindet sich eine Mauerwerksfassade. Deren Dicke beträgt im Kellergeschoss 78 cm und nimmt mit zunehmender Höhe des Gebäudes schrittweise ab. Zusätzlich befinden sich im Gebäude Mauerwerkswände für Aufzugsschächte und Treppenhauskerne. Aufgrund der außergewöhnlichen Lage am Hafen von Rijeka stellte das Fundament eine Besonderheit dar: Das gesamte Hafengebiet wurde nämlich nachträglich aufgeschüttet. Daher musste das Gebäude damals auf einer 1,5 m dicken unbewehrten Betonplatte errichtet werden. Diese sollte ursprünglich Setzungen reduzieren, wurde aber nicht für horizontale Lasten oder seismische Kräfte ausgelegt.

Explosionsdarstellung der bestehenden Struktur des Lagerhauses XXII in Rijeka von ATP architekten ingenieure
BIM-Plan des bestehenden Tragwerks. © ATP architekten ingenieure
ATP architekten ingenieure zeigt Modalanalyse des Lagerhauses XXII in Rijeka
Analyse des 3. Bauteils. © ATP architekten ingenieure

Methodik und zentrale Erkenntnisse
Den Auftakt bildete eine detaillierte Bestandsanalyse anhand verschiedener Verfahren:

  • Historische Recherche: Archivmaterial und Baupläne halfen uns dabei, die ursprüngliche Konstruktion und die Materialwahl zu verstehen.

  • 3D-Modellierung und Analyse: Wir erstellten ein detailliertes BIM-Modell, um das Tragverhalten der Struktur zu analysieren. Simulationsmodelle zur seismischen Belastbarkeit offenbarten strukturelle Schwachstellen, insbesondere in den horizontalen Verstrebungen und den Fundamenten.

  • Materialuntersuchungen: Vor-Ort-Untersuchungen der Beton- und Mauerwerksqualität zeigten starke Materialalterung und Korrosionsschäden an der Bewehrung.

Analyse der seismischen Schwachstellen des Lagerhauses XXII in Rijeka durch ATP architekten ingenieure

Seismische Verstärkungsmethoden
Unter Berücksichtigung der Anforderungen des Bauherrn und des historischen Erbes des Gebäudes entwickelten wir verschiedene Optionen für die seismische Verstärkung der Struktur. Im Zuge der architektonischen Umgestaltung des Gebäudes sollten die Lagerflächen in Büroräume umgewandelt werden. Diese Nutzungsänderung definierte neue Anforderungen an die Evakuierungsmaßnahmen, insbesondere im Bereich der Treppenhauskerne, die gleichzeitig zur seismischen Stabilisierung beitrugen. Allerdings waren die Treppenhauskerne allein nicht ausreichend, um die Struktur jedes Abschnitts individuell zu stabilisieren. Aufgrund weniger versteifenden Elementen in beiden Richtungen war eine zusätzliche Verstärkung notwendig, um die Stabilität des Tragwerks zu gewährleisten.

Zur Bestimmung der optimalen Lösung zogen wir mehrere Verstärkungsmethoden in Betracht. Da das Gebäude überwiegend aus Stahlbeton mit Mauerwerksfassaden besteht, schlugen wir folgende zwei primäre Lösungen vor:

  • Variante 1: Verstärkung mit Stahlbetonwänden

  • Variante 2: Verstärkung mit Stahlrahmen

Nach einer detaillierten Analyse fiel die Entscheidung gegen die Stahlrahmen-Lösung, da sie sich aus mehreren Gründen als ungeeignet erwies: Die erhebliche Masse des Gebäudes, bedingt durch die Stahlbeton- und Fassadenwände, führt zu einer beträchtlichen Kraftakkumulation, die durch seismische Beschleunigung verstärkt wird. Zusätzlich wäre eine Installation von Stahlrahmen zwischen den Stützen nahezu unmöglich, da die Hauptträger sehr hoch sind und an den Achslinien Verdickungen aufweisen. Zudem wären entlang der Längsachse der Fassade Rahmen erforderlich, was zur Schließung der Öffnungen über die gesamte Gebäudehöhe führen würde.

Daher fiel die Wahl zugunsten der Stahlbetonlösung aus:

  • Neubau tragender Stahlbetonwände: Um das Tragwerk zu stabilisieren, integrierten wir neue Stahlbeton-Kerne für Treppenhäuser und Aufzüge. Zusätzlich platzierten wir strategisch Schubwände, um die seismische Widerstandsfähigkeit der Struktur zu verbessern.

  • Verstärkung der bestehenden Ziegelwände: Die Fassade bekam innen eine zusätzliche dünne Schicht Spritzbeton mit Bewehrung und wurde mit Mauerwerkswänden verbunden. Diese Technik ermöglicht eine erhebliche Verbesserung der Tragfähigkeit, ohne die äußere Erscheinung des Gebäudes zu verändern.

  • Optimierung der Fundamente: Die neue Stahlbetonstruktur erfordert die Errichtung neuer Fundamente. Für die Verankerung der Bewehrung wurden Bohrungen in den bestehenden Beton eingebracht und mit einem epoxidbasierten Klebstoff verfüllt, um eine chemische Verankerung zu gewährleisten. Diese Verbindung erhöht das Gewicht der Fundamentstruktur ausreichend, um die Zugkräfte in den neuen Stahlbetonelementen aufzunehmen.

Seismische Verstärkungsmaßnahmen des Lagerhauses XXII in Rijeka von ATP architekten ingenieure
Erstellung einer neuen Stahlbetonstruktur sowie die Verstärkung der Mauerwerkswände. © ATP architekten ingenieure

Fazit: Ingenieurkunst im Denkmalschutz
Die seismische Nachrüstung des Lagerhauses XXII zeigt, wie sich Ingenieurtechnik und Denkmalschutz erfolgreich vereinen lassen. Durch umfassende Bestandsanalyse, Materialprüfungen und 3D-Modellierung veranschaulicht die Studie die praktische Anwendung moderner seismischer Verstärkungstechniken. Dieser Prozess trägt nicht nur zur Erhöhung der strukturellen Sicherheit des Gebäudes bei, sondern gewährleistet den Erhalt seines architektonischen und historischen Wertes. Das Projekt verdeutlicht die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes beim Umgang mit denkmalgeschützten Bauwerken in erdbebengefährdeten Regionen.

Fallstudie
In ihrer Fallstudie „Seismic Upgrading of the Heritage-Protected Reinforced Concrete Warehouse in Rijeka, Croatia“ zeigen die Autoren Berislav Bošnjak und Nikola Pekas, Tragwerksplaner bei ATP architekten ingenieure, Zagreb, sowie Mislav Stepinac von der Universität Zagreb, Fachbereich für Bauingenieurwesen, die Notwendigkeit von proaktiven Maßnahmen in seismisch aktiven Regionen. Der wissenschaftliche Artikel wurde in der renommierten Fachzeitschrift Buildings im Special Issue „Sustainable Preservation of Buildings and Infrastructure“ publiziert.

Zur Studie: https://www.mdpi.com/2075-5309/14/9/2912

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