KI-Einstieg im Büro
10.000 Bilder in acht Wochen: ATP integriert KI im großen Stil
Um Innovationen zu fördern und zu skalieren, braucht ein Unternehmen mit 1.500 Mitarbeiter*innen eine gezielte Struktur. Wir berichten, wie ATP das macht.
ATP beschäftigen über 1500 Mitarbeiter*innen an 14 Standorten. In allen Bereichen integrieren sie KI. Erfahren Sie mehr über die Herausforderungen und Fortschritte der digitalen Transformation eines großen Architekturbüros.
Als ATP architekten ingenieure einen sogenannten „KI-Hub“ einführten, zeigte sich überraschend schnell die Wirkung: Innerhalb von acht Wochen entstanden über 10.000 KI-generierte Bilder, die bereits in verschiedenen Projekten zum Einsatz kamen. Doch dieser Hub ist nur ein Teil der umfassenden Digitalisierungsstrategie, mit der das Büro auf künstliche Intelligenz (KI) setzt.
Verschiedene Teams arbeiten an der Entwicklung und Anwendung von KI-Lösungen in Bereichen wie Entwurf, Umweltanalyse und Kostenplanung. Sie haben Werkzeuge wie Chatbots und maßgeschneiderte KI-Modelle entwickelt und implementiert. Albert Achammer, Geschäftsführer von ATP in Hamburg, erläutert für competitionline, wie das Unternehmen seine Strukturen anpasst, um Innovationen gezielt einsetzen zu können.
Achammer studierte in Zürich und war bei GMP in Hamburg tätig, bevor er einen MBA in Spanien absolvierte. Zurück in Hamburg, gründete er eine weitere Niederlassung für ATP architekten ingenieure.
Diese Gründung innerhalb eines großen Unternehmens bot die Möglichkeit, neue Ansätze und Workflows zu testen, die wir dann im gesamten Unternehmen umsetzen konnten.
Albert Achammer
Computational Design Team
ATP verfügt über keine spezialisierte KI-Abteilung, doch mehrere Teams im Unternehmen beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. Vor vier Jahren gründete etwa das Büro in Hamburg ein spezialisiertes, dezentrales Computational Design Team. Vorher gab es im Unternehmen punktuelle Anwendungen, etwa mit Grasshopper oder Dynamo, aber nie in gebündelter Form. Mit dem neuen Team wurden diese Kräfte vereint und die Arbeit an Computer-Aided Design intensiviert.
Diese Gruppe von Expert*innen machte Fortschritte in diversen KI-Anwendungen – von Grundriss- und Volumengeneratoren bis zu Bildgenerierungs-Algorithmen und Umweltsimulationen. „Diese Technologien sind mittlerweile weit verbreitet und funktionieren gut“, berichtet Achammer.
Innerhalb des Teams wurden drei Bereiche geschaffen: ein Entwicklungsteam, ein Anwendungsteam und ein Superuser-Team. Das Entwicklungsteam arbeitet nahezu vollständig an Research und Development, während die anderen Teams die neuen Technologien in der Praxis anwenden und Feedback geben. „Durch diese Struktur sichern wir einen Innovationsprozess, der von unten nach oben getragen wird und schließlich in der breiten Anwendung landet“, so Achammer.
„Zwei Geschwindigkeiten“
Mit dem Hype um GPT-4 und andere KI-Tools wuchs das Interesse an KI auch bei Mitarbeitenden ohne IT-Affinität, die darauf hofften, Planungen bald per Knopfdruck automatisieren zu können. “Seitdem haben wir im Unternehmen zwei Geschwindigkeiten in der KI-Entwicklung: die Arbeit der Expert*innen und andere Entwicklungen, die mit neuen KI-Impulsen verbunden sind”, erklärt Achammer. Diese beiden Strömungen nähern sich jedoch zunehmend an.
In der Praxis: Einführung neuer Technologien
So geht ATP vor, wenn das Unternehmen eine neue Technologie wie KI einführt.
Der Prozess entsteht oft aus der Eigeninitiative hoch motivierter Mitarbeiter*innen.
Die Produkteigentümer der vier Bereiche des vom Büro gegründeten Digital Business Improvement Programms (siehe Kasten) – Integrated Design, Baumanagement, Nachhaltigkeit und TGA Engineering – entwickeln im Austausch mit Architekt*innen und Ingenieur*innen spezifische Anwendungen.
Wollen Mitarbeitende solche Ideen weiterentwickeln, erstellen sie ein kurzes sogenanntes „Research & Development Proposal“ auf einer A4-Seite, das die Idee, die Umsetzung, die Kosten und das erwartete Ergebnis skizziert.
Diese Vorschläge der operativen Teams gehen direkt an den Vorstand, wo zeitnah über die Umsetzung im Einklang mit der Digitalisierungsstrategie entschieden wird.
Daraus entstehen interdisziplinäre Entwicklungsteams aus Designer*innen, Softwareentwickler*innen, IT-Support und weiteren Spezialist*innen.
Die Einführung erfolgt dann schrittweise. Zunächst wird die neue Technologie in kleinen Teams entwickelt und getestet; so entstand beispielsweise ein Prototyp des büroeigenen Chatbots „ChatATP“.
In einer Beta-Phase arbeiten dann 20 bis 40 Personen mit der neuen Technologie. Am Ende nutzen mehrere hundert Mitarbeitende die Anwendung.
Wir gehen schrittweise vor, um Praxisfeedback zu sammeln und die Technologie vor der breiten Einführung zu optimieren. Diese Methode führt oft schnell zu umfassenden Ergebnissen.
Albert Achammer
Tools
ATP setzt zunehmend auf externe Software. So arbeitet das Computational Design Team mit der Modellierungssoftware Rhino Inside Revit und ergänzt diese durch eigene Codes, etwa zur automatisierten Bestückung von Deckenspiegeln oder zum Verbinden von TGA-Rohrleitungen. Auch Tools wie iTWO, DBD-BIM und Anwendungen in der Autodesk Construction Cloud (ACC) unterstützen die Effizienz bei Kostenkalkulation und Ausschreibungstexten. „Die Integration dieser Systeme ist ein großer Schritt nach vorn“, sagt Achammer.
ChatATP
ChatATP ist ein Chatbot-Assistent für die Mitarbeitenden der ATP. Er wurde entwickelt, um das Wissensmanagement im Unternehmen neu zu organisieren. Das Tool ähnelt gängigen Chatbots wie ChatGPT und Copilot.
„Wir verfügen über eine große Vielfalt an Normen, Standards und eigenem Know-how. ChatATP ist ein mächtiges Werkzeug, das den Zugang zu all diesen Informationen und Daten vereinfacht und verbessert.“
Derzeit konzentriert sich die Entwicklung vor allem auf Normen und standardisierte Daten. Zukünftig plant das Büro, die Fähigkeiten des Systems weiter auszubauen. Es basiert auf der Microsoft-Datenbank SharePoint in Kombination mit Microsoft Azure und der API von OpenAI.
LoRa-Modelle
Durch einen Hackathon wurde Anfang 2024 der KI-Server durch Low-Rank Adaptations (LoRa) Trainings erweitert. LoRa ist eine Methode, die ein KI-Modell an spezifische Aufgaben oder Daten anpasst, indem nur kleine Teile eines Modells trainiert werden. Dies erlaubt ATP, das Modell weiter zu individualisieren und an spezifische Stile anzupassen. LoRa-Trainings reduzieren den Rechenaufwand und ermöglichen die Erzeugung vielfältiger Darstellungsstile für unterschiedliche Anwendungsfälle.
ATP nutzt LoRas anders als andere Büros, sagt Achammer. Anstelle eines ATP-Style-Enhancers werden verschiedene Style-Enhancer für unterschiedlichste Anwendungsfälle gebraucht – vom lokalen Kontext in einer Visualisierung zu einem speziellen Darstellungsstil in einer Präsentation. „Als Architekt*innen orientieren wir uns schließlich nicht nur an unseren eigenen Arbeiten, sondern lassen auch externe Inspirationen einfließen“, sagt Achammer. „Das bereichert uns und verbessert die Ergebnisse.“
Hier ist ein Beispiel für Variationen in verschiedenen Stilen mit einem LoRa-Modell aus einem KI-generierten Originalbild eines Bürogebäudes:
KI-Hub
Ein wichtiges Ziel für 2024 war die Etablierung eines eigenen KI-Hubs. Der KI-Hub ist ein Online-KI-Server zur Umsetzung von Stable Diffusion. Diese Plattform ermöglicht es den ATP-Teams, mit einfachen Prompts in hoher Geschwindigkeit qualitativ hochwertige Visualisierungen zu erstellen. Diese Visualisierungen können von der Konzeptentwicklung bis zu Präsentationen in späteren Leistungsphasen eingesetzt werden.
Ein Team mit Expertise in KI und Machine Learning testete über zwei Jahre verschiedene Systeme und wählte schließlich das Open-Source-Modell Stable Diffusion.
Bei der Einführung des KI-Hubs entwickelten die Mitarbeiter*innen fünf Tutorials und generierten innerhalb von acht Wochen über 10.000 KI-Bilder. “Diese Menge, mit tollen Ergebnissen, hat selbst uns überrascht”, sagt Achammer.
Durch die Integration von Low-Rank Adaptation (LoRA)-Modellen passt der KI-Hub die Ergebnisse optimal an die Projektanforderungen des Büros an – für spezifische Gebäudetypen, Fassaden und visuelle Stile.
„Dieser innovative Hub verändert die Art und Weise, wie wir Designs visualisieren und verfeinern, und positioniert uns an der Spitze der KI-gestützten Architektur. Der Server ist Teil unserer KI-Forschung.“, sagt Achammer.
Umwelt- und Datenanalysen
Gemeinsam mit Autodesk integrierte ATP das KI-basierte Tool Forma für Umweltanalysen in frühen Planungsphasen. Dieses liefert dank KI-Surrogate-Modellen schnelle Ergebnisse zu Lärm, Sonnen- und Windbedingungen und unterstützt Planende bei fundierten Entscheidungen. Für eine genauere Berechnung in späteren Leistungsphasen greift das Unternehmen schon länger auf andere, aufwändigere Tools zurück.
ATP nutzt auch Large Language Models (LLM) wie GPT und Copilot zur Analyse großer, textbasierter Datenmengen. Dies erleichtert zum Beispiel die Auswertung von Auslobungen für Wettbewerbe und die Analyse von Nutzer*innendaten – stets unter Einhaltung des Datenschutzes. Auch kleinere Anwendungen, wie die Durchführung interner Wettbewerbe, profitieren davon.
Baustelle
Auf der Baustelle nutzt ATP Sensoren und Scanner, um den Planungsstand der Modelle mit dem Baufortschritt zu vergleichen. „Diese Entwicklungen sind ein Game Changer“, berichtet Achammer.Tools wie die Autodesk Construction Cloud (ACC) und PlanRadar erleichtern die Kommunikation, indem sie Informationen direkt ins Modell einbinden. Die Entwicklung eigener Lösungen wäre zu aufwändig, daher setzt ATP hier auf bewährte Anbieter.
Netzwerke und Bauherren
ATP legt großen Wert auf Austausch und Zusammenarbeit, um Entwicklungen gemeinsam voranzutreiben, sagt Geschäftsführer Albert Achammer. „Wir waren immer sehr transparent mit unseren Innovationen, denn in unserer Branche dreht sich der Wettbewerb nicht um Workflows sondern um gute Ideen. Deshalb haben wir auch schon vor Jahren unseren gesamten BIM-Content über BIMpedia.eu veröffentlicht.“
Ein Beispiel ist das Rhino User Meeting in Berlin, das ATP mit 170 Teilnehmenden organisiert hat. „Wir glauben, dass es effektiver für alle ist, gemeinsam zu entwickeln und voneinander zu profitieren, als alles intern zu behalten.“
Zudem veranstaltet das Büro das „DigitalOpenHaus“, ein Online-Event, bei dem sich ATP mit über 25 Unternehmen und 7 Universitäten austauscht. Achammer denkt, Netzwerke können auch kleineren Büros helfen, denen die Investitionen in KI oder BIM zu hoch erscheinen.
Der Geschäftsführer trifft immer wieder auf Bauherren, die wenig Verständnis oder Interesse für neue Technologien haben. „Sie erwarten von uns, dass wir schnell und gut arbeiten, unabhängig davon, wie wir das erreichen – ob mit KI, BIM oder per Hand gezeichnet.“
Allerdings wächst laut Achammer die Zahl der technologie-affinen Auftraggeber*innen, die einen großen Mehrwert darin erkennen, dass digitale Werkzeuge zu mehr Transparenz beitragen und somit Entscheidungen viel früher und belastbarer getroffen werden können.
Vorteile und Herausforderungen
Achammer sieht in KI vor allem zwei Vorteile: zusätzliche Inspiration und Effizienzsteigerung. „In den frühen Phasen ist die Inspiration entscheidend, Effizienz entsteht, wenn der gesamte Prozess durchgängig funktioniert.“ Ein Beispiel ist BIM: „Der volle Effizienzgewinn ergibt sich nur, wenn durchgängig damit gearbeitet wird.“
Achammer hofft, dass KI künftig als Sparringspartner agiert. Besonders die textlastigen Bereiche bieten einfache Anwendungsfälle. In den letzten 70 Jahren hat ATP enorme Datenmengen gesammelt. Eines der Probleme besteht darin, dieses Wissen zur richtigen Zeit und im richtigen Datenformat an die richtigen Mitarbeiter*innen zu bringen. Hier sieht das Unternehmen große Chancen, KI in einfachen Anwendungen wie einer intelligenten Suchfunktion einzusetzen.
„Bislang stützt sich KI auf menschliche Entscheidungen im Kontext. In Zukunft könnte sie wie ein Teammitglied handeln, das uns schnell mit besseren Informationen versorgt“, sagt Achammer.
Er empfindet die frühe Leistungsphase als eine der größten Herausforderungen, weil Kund*innen meistens nicht genau wissen, was sie wollen. Hier könne KI stark unterstützen, indem sie hilft, die enorme Datenvielfalt zu verarbeiten, sagt der Geschäftsführer. So ließen sich viele Schleifen im Projektverlauf vermeiden, die entstehen, weil die Bedarfsplanung nicht sauber durchgeführt wurde.
Digitalisierungsstrategie und Unternehmenskultur
ATP hat vor etwa einem Jahr beschlossen, die Digitalisierungsstrategie grundlegend neu auszurichten, um den digitalen Wandel in der Branche langfristig zu bewältigen. Dazu rief das Unternehmen das Programm “Digital Business Improvement” (DIBI) ins Leben. DIBI zielt darauf ab, nicht nur die Planungs- und Gestaltungsprozesse zu modernisieren, sondern alle Geschäftsbereiche – von Architektur und Ingenieurwesen über Wissensmanagement und HR bis hin zu rechtlichen Abläufen – digital zu stärken und effizienter zu gestalten.
„Es reicht nicht, nur ein paar Softwareingenieur*innen mit KI-Expertise einzustellen“, betont Geschäftsführer Albert Achammer. „Wir müssen das Thema im gesamten Unternehmen denken.“ Gerade ein Unternehmen mit 1.500 Mitarbeitenden wie ATP müsse eine solide Basis schaffen, damit Innovationen auch tatsächlich Raum zur Entfaltung finden. In kleinen Büros könne eine neue Technologie schnell umgesetzt werden; bei einem großen Unternehmen bedürfe es einer gezielten Struktur, um Innovation zu fördern und zu skalieren, ohne sie zu bremsen.
Um eine solche Grundlage zu schaffen, konzentriert sich ATP auf vier zentrale Elemente: Kultur, Organisation, Prozess und Technologie. Diese Elemente müssen harmonisch aufeinander abgestimmt sein, damit innovative Ansätze und Technologien auf fruchtbaren Boden fallen. Achammer erläutert: „Zunächst muss die Unternehmenskultur offen für neue Ansätze sein. Danach passen wir die organisatorischen Strukturen so an, dass Innovationen auch tragfähig werden können. Veraltete Prozesse müssen parallel neu definiert werden, denn es reicht nicht, nur die Kultur anzupassen, wenn die Arbeitsweisen hinterherhinken.“
Ein entscheidender Aspekt der Strategie ist der kulturelle Wandel im Umgang mit digitalen Tools und Informationssuche. Während früher Google-Suchen im Vordergrund standen, sollen nun zunehmend KI-basierte Abfragen genutzt werden. Diese Art der „kulturellen Transformation“ wird von ATP gezielt gefördert, denn die Technik ist zwar meist weit entwickelt, doch Anpassungen in der Denkweise und den Prozessen hinken oft hinterher. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich bei BIM: Die Technologie bietet zahlreiche Möglichkeiten, doch ohne das entsprechende Mindset und die passenden Strukturen wird ihr Potenzial selten ausgeschöpft.
Ein unternehmensweiter KI-Kodex bietet den Mitarbeitenden eine Leitlinie für den Umgang mit KI-Tools wie GPT oder Copilot und stellt sicher, dass diese Technologien verantwortungsbewusst und effizient genutzt werden. Um die Mitarbeitenden auf die Herausforderungen der Digitalisierung und den Einsatz von KI vorzubereiten, baut ATP zudem auf die Expertise von Software Engineers und weiteren Fachleuten. „Die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit – sowohl physisch als auch digital – beginnt mit der richtigen Haltung im Kopf“, resümiert Achammer.